Digitaler Produktpass ab 2027
Leitfaden für die Kreislaufwirtschaft
Leitfaden für die Kreislaufwirtschaft
Wie sich Recycling-Unternehmen auf den Digitalen Produktpass (DPP) vorbereiten
Für die Recycling- und Kreislaufwirtschaft stellt die Einführung des Digitalen Produktpasses (DPP) eine fundamentale Transformation dar. Bisher agierten Recyclingbetriebe oft im Ungewissen und behandelten ankommende Materialströme als "Blackbox" mit unbekannter Zusammensetzung. Der DPP beendet diese Ära der Intransparenz. Er liefert präzise, maschinenlesbare Daten über die Materialzusammensetzung, enthaltene Chemikalien, Reparaturfähigkeit und den gesamten Lebenszyklus eines Produkts direkt am Point of Entry in der Recyclinganlage.
Der DPP in der Praxis: Eine neue Ära für Sortierung und Verwertung
Die praktische Umsetzung des DPP wird die betrieblichen Abläufe in Sortier- und Recyclinganlagen revolutionieren. Der Prozess, der heute noch stark von manueller Arbeit und grober sensorischer Sortierung geprägt ist, wird durch einen automatisierten, datengesteuerten Workflow ersetzt.
Der neue Workflow im Detail:
- Erfassung: Ein Produkt gelangt auf das Förderband der Sortieranlage. Eine industrielle Kamera oder ein Scanner erfasst den am Produkt angebrachten Datenträger (z. B. einen QR-Code oder ein digitales Wasserzeichen).
- Identifikation: Die Software liest die eindeutige Produkt-ID aus und sendet eine Anfrage an das zentrale EU-Register.
- Datenabruf: Das Register leitet die Anfrage an den dezentralen Datenspeicher des Herstellers weiter. Über eine standardisierte API werden die für den Recycler relevanten Daten (z. B. Materialart, Polymertyp, Farbcode, enthaltene Additive oder Schadstoffe) in Echtzeit abgerufen.
- Automatisierte Entscheidung: Die Anlagensoftware analysiert die Daten in Millisekunden und klassifiziert das Produkt. Sie gibt einen präzisen Befehl an die Sortiermechanik.
- Gezielte Sortierung: Das Produkt wird durch Roboterarme, Luftdüsen oder Weichen automatisch dem korrekten Materialstrom zugeführt – sei es für hochwertiges Recycling, die Kompostierung oder die sichere Entsorgung von Gefahrstoffen.
Der Digitale Produktpass (DPP): Mehr als nur ein QR-Code
"Die im DPP erfassten Informationen ermöglichen es End-of-Life-Unternehmen, entsorgte Verpackungen ordnungsgemäß zu verwalten, wenn sie in Sortier- und Recyclingzentren ankommen, was positiv zur Kreislaufwirtschaft und zu den Recyclingquoten beiträgt", erklärt Philippe Blank, Head of Circular Economy bei Henkel [1].
Technische Infrastruktur: Das Fundament für die DPP-Integration
Um für den DPP gerüstet zu sein, müssen Recyclingunternehmen in eine spezifische technische Infrastruktur investieren. Diese lässt sich in Hardware, Software und die zugrundeliegenden Standards unterteilen.
| Komponente | Technologie/Standard | Funktion im Recyclingprozess |
| Hardware |
Industrielle Kameras, Scanner für QR-Codes & digitale Wasserzeichen, NFC-Lesegeräte |
Physische Erfassung des Datenträgers am Produkt in hoher Geschwindigkeit. |
| Software |
DPP-Plattform / Middleware, API-Schnittstellen |
Abfrage des EU-Registers, Empfang und Verarbeitung der DPP-Daten, Steuerung der Sortieranlage. |
| Datenträger |
QR-Codes, Digitale Wasserzeichen (z.B. Digimarc), NFC-Tags |
Physischer Träger der eindeutigen Produkt-ID am Produkt oder der Verpackung. |
| Identitäts-Standard |
GS1 Digital Link |
Stellt sicher, dass die Produkt-ID als URL strukturiert und global eindeutig ist, was den Datenabruf über das Web ermöglicht. |
| Daten-Standard |
EPCIS 2.0, JSON-LD |
Definiert ein gemeinsames Vokabular und Format für die Beschreibung von Lieferketten-Ereignissen und Produktdaten, um Interoperabilität zu gewährleisten. |
| Vertrauens-Standard |
DIDs und Verifiable Credentials |
Ermöglicht die kryptographische Verifizierung von Aussagen (z.B. "enthält 50% Rezyklat"), um Greenwashing zu verhindern. |
Konkrete Vorteile und wirtschaftliche Chancen
Die Investition in die DPP-Fähigkeit ist nicht nur eine Notwendigkeit zur Einhaltung von Vorschriften, sondern eröffnet auch erhebliche wirtschaftliche Potenziale.
- Steigerung der Rezyklat-Qualität: Durch die präzise Sortierung können sortenreine, hochwertige Sekundärrohstoffe erzeugt werden. Diese erzielen am Markt deutlich höhere Preise als gemischte oder minderwertige Materialien und können Neukunststoffe in anspruchsvollen Anwendungen ersetzen.
- Effizienz und Automatisierung: Die Automatisierung der Sortierung senkt die Betriebskosten, reduziert die Fehlerquote und erhöht den Durchsatz der Anlagen. Manuelle Sortierprozesse, die langsam und teuer sind, können auf ein Minimum reduziert werden.
- Verbessertes Risikomanagement: Der DPP macht auf enthaltene Schadstoffe oder besorgniserregende Substanzen (Substances of Concern) aufmerksam. Diese können gezielt ausgeschleust werden, was die Arbeitssicherheit erhöht und verhindert, dass diese Stoffe in den Recyclingkreislauf gelangen.
- Automatisierte Compliance und Berichterstattung: Die Daten aus dem DPP können direkt für die Erstellung von Berichten im Rahmen der Erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) genutzt werden. Dies reduziert den administrativen Aufwand erheblich.
- Neue Geschäftsmodelle: Recyclingunternehmen können sich als strategische Partner in der Kreislaufwirtschaft positionieren. Sie können Herstellern wertvolle Daten über die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte zurückspielen oder zertifizierte Rezyklate mit garantiertem Ursprung und garantierter Qualität anbieten.
Strategischer Fahrplan zur Vorbereitung
Die Umstellung auf DPP-konforme Prozesse sollte schrittweise und strategisch erfolgen. Die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) trat am 18. Juli 2024 in Kraft, die ersten delegierten Rechtsakte für spezifische Produktgruppen werden für 2026 erwartet, mit einer Übergangsfrist von 18 Monaten [3].
Phase 1: Kurzfristige Vorbereitung (2024-2025)
- Wissensaufbau & Analyse: Bilden Sie ein internes Team, das sich mit den Anforderungen der ESPR und den kommenden delegierten Rechtsakten vertraut macht. Analysieren Sie, welche der priorisierten Produktgruppen (z.B. Textilien, Elektronik, Verpackungen) für Ihr Unternehmen relevant sind.
- Infrastruktur-Audit: Bewerten Sie Ihre bestehende IT- und Anlagentechnik. Welche Scanner sind vorhanden? Sind Ihre Software-Systeme in der Lage, mit externen APIs zu kommunizieren?
- Marktbeobachtung & Vernetzung: Nehmen Sie an Branchenveranstaltungen, Webinaren und Pilotprojekten teil. Vernetzen Sie sich mit DPP-Softwareanbietern und Standardisierungsgremien wie der GS1 Circularity Group.
Phase 2: Mittelfristige Implementierung (2025-2026)
- Technologie-Auswahl: Wählen Sie die passende Hardware (Scanner) und Software-Plattform für Ihre Anforderungen aus. Führen Sie erste Tests in einer Pilotlinie durch.
- Prozessintegration: Entwickeln Sie die Prozesse zur Integration der DPP-Daten in Ihre Sortierlogik. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter im Umgang mit den neuen Systemen.
- Partnerschaften aufbauen: Etablieren Sie eine engere Zusammenarbeit mit Herstellern und Abfallerzeugern, um den Datenfluss zu optimieren und gemeinsame Standards zu definieren.
Phase 3: Langfristige Optimierung (ab 2027)
- Skalierung: Rollen Sie die DPP-gestützte Sortierung auf alle relevanten Produktströme und Anlagen aus.
- Datenanalyse & Geschäftsmodelle: Nutzen Sie die gewonnenen Daten zur kontinuierlichen Optimierung Ihrer Prozesse. Entwickeln Sie neue Dienstleistungen, wie z.B. detaillierte Recycling-Reports für Ihre Kunden oder den Verkauf von zertifizierten Premium-Rezyklaten.
- Kontinuierliche Anpassung: Bleiben Sie flexibel, um auf neue delegierte Rechtsakte und technologische Entwicklungen reagieren zu können.
Pragmatisch starten
Quellen
[1] PlasticsToday (Februar 2025). Digital Product Passport Optimizes Recycling, Traceability. Verfügbar unter: https://www.plasticstoday.com/packaging/digital-product-passport-optimizes-recycling-traceability
[2] Digimarc (Juni 2024). Piloting Digital Product Passport for Plastic Recycling. Verfügbar unter: https://www.digimarc.com/blog/piloting-digital-product-passport-plastic-recycling
[3] Tributech (Dezember 2024). Preparing for the ESPR’s Digital Product Passport. Verfügbar unter: https://www.tributech.io/blog/preparing-for-digital-product-passports